8 Fragen, 2 Geschäftsführer, 16 Antworten – ein Interview-Vergleich

Vor fünf Jahren hat das das Magazin ElektroBIKE ein Interview mit dem damaligen Bosch eBike Systems Geschäftsführer Rainer Jeske über die Ziele geführt, die Bosch auf dem Pedelec-Markt verfolgt. Im Jahr 2016 hat ElektroBIKE-Redakteur Björn Gerteis diese acht Fragen erneut gestellt, und zwar Jeskes Nachfolger Claus Fleischer. Das Ziel: Herauszulesen, wie sich Bosch eBike Systems in den vergangenen Jahren entwickelt hat und zu sehen, wo die Reise hingehen wird.

Die Ziele sind gewachsen aber eins ist gleich geblieben: Die Faszination und die Begeisterung für das Thema.

eBike und Bosch – welche Ziele verfolgen Sie?

Rainer Jeske (2011): „eBike ist für Bosch kein Mitnahmegeschäft. Für uns ist es ein strategisch wichtiges Betätigungsfeld. Das Thema Mobilität wird sich in Zukunft nicht mehr nur auf die vier Räder beschränken. Mobilität wird breit gefasst sein. Hier in Europa erleben wir gerade den Boom der Pedelecs, Fahrräder, die uns beim Pedalieren mit einem Motor unterstützen. In China sehen Sie auf den Straßen unzählige E-Scooter, elektrische Motorroller. Das ist nur der Anfang. Wir als Zulieferer sind in allen Bereichen involviert. Daher ist es wichtig, dass wir Trends mitgehen.“

Claus Fleischer (2016): „Wir möchten Menschen für die Mobilität der Zukunft begeistern. Aus unserer Sicht eignet sich dafür besonders Elektromobilität. Die Elektrifizierung des Fahrrads war für uns ein wichtiger Schritt. Ein Schritt, der funktioniert: 2009 als Start-up innerhalb der Bosch-Gruppe gegründet, sind wir inzwischen einer der führenden Hersteller im Premium-Segment. Mittlerweile gehören eBikes und das Unternehmen Bosch untrennbar zusammen. Bosch eBike Systems ist eine der treibenden Kräfte in der Branche. Jährlich wachsen wir zweistellig – überproportional zum Markt. Auch für die kommenden Jahre sind wir zuversichtlich. Die Zeichen stehen gut, dass Elektrofahrräder eine immer wichtigere Rolle in der persönlichen Mobilität, in der Freizeit und im Transportgewerbe einnehmen. Wir bauen unsere Aktivitäten kontinuierlich aus, seit 2014 haben wir Niederlassungen im nordamerikanischen und asiatischen Markt, seit 2015 sind wir auch in Australien aktiv. Dabei haben wir ein klares Ziel vor Augen: Wir möchten das eBike weltweit als Erfolgsmodell etablieren.“

Wie wird sich die urbane Mobilität verändern?

Rainer Jeske (2011): „Ich denke da in zwei Richtungen. Zum einen sehe ich Synergien zwischen dem Auto und dem eBike. Es wird so sein, dass ich mit meinem Auto in die Stadt hineinfahre. Entweder liegt im Kofferraum mein eigenes Falt-eBike, oder ich lease eines vor Ort. Mobilität wird in Zukunft anders aussehen. Und das eBike wird eine besondere Rolle darin spielen. Zum anderen wird das eBike, so wie es jetzt aktuell ist, sich verändern. Das eBike wird zur Fahrzeugklasse werden. Wenn man mal ganz weit denkt, dann wird eBike schlussendlich Fahrrad heißen. Fahrrad ist gleich eBike.“

Claus Fleischer (2016): „Mehr als 50 Prozent der Menschen weltweit leben derzeit in Städten, im Jahr 2050 werden es nach aktuellen Prognosen rund drei Viertel sein. Das bringt Her­aus­for­der­ungen mit sich, auch für die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen. Individuell, sicher und nachhaltig – so sieht für viele Menschen bereits heute die ideale Mobilitätsform aus. Pedelecs bieten große Chancen. Sie helfen dabei, Ressourcen zu schonen und Emissionen zu reduzieren. Besonders ‚Intermodalität‘ wird im urbanen Kontext immer wichtiger. Das eine Verkehrsmittel für alle Einsatzzwecke wird es in Zukunft kaum noch geben. Für unterschiedliche Wege Verkehrsmittel individuell miteinander kombinieren – dieser Trend wird sich weiter verstärken. Der Nutzer entscheidet, wann und wie er sich fortbewegt. Zum Beispiel auf dem Elektrorad zum Bahnhof, mit dem Zug weiter, dann mit öffentlichem Nahverkehr oder einem Leih-Pedelec zum Ziel. Wir sind überzeugt: Die Mobilität der Zukunft wird elektrifiziert, automatisiert und vernetzt sein. Mit dem eBike haben wir all das bereits erreicht. Automatisches Schalten oder vernetztes eBiken mithilfe des all-in-one Bord­computers Nyon, Smartphone-App und Online-Portal eröffnen neue Möglichkeiten.“

Welchen Anteil am Fahrradmarkt werden eBikes perspektivisch einnehmen?

Rainer Jeske (2011): „Ich ziehe mal einen Vergleich zu Holland. Da ist die eBike-Quote schon wesentlich höher als in Deutschland. Ich denke schon, dass 10 Prozent aller Räder mittelfristig eBikes sein werden. Und wir wollen darin einen Marktanteil von 20 Prozent oder mehr erreichen.“

Claus Fleischer (2016): „Verkehrspolitisch besitzt das eBike große Bedeutung. Pedelecs sind der Einstieg in eine effiziente und emissionsfreie Mobilität. Der elektrische Antrieb hilft dabei, tägliche Ziele noch effizienter, ökonomischer und ökologisch nachhaltiger zu erreichen. Rund 2,5 Millionen Pedelecs auf Deutschlands Straßen zeigen, wie hervorragend dieses Konzept funktioniert. Mittelfristig wird jedes dritte neu verkaufte Fahrrad in Mitteleuropa ein eBike sein. In einigen Ländern – etwa in Belgien oder auch in den Niederlanden – haben wir das bereits erreicht oder stehen kurz davor.“

Muss eBike fahren einfach sein?

Rainer Jeske (2011): „Ich denke schon. Das Thema intuitive Bedienung ist mir wichtig. Man muss aufsteigen und sich wohlfühlen. In ein Auto muss ich mich setzen und losfahren können. So soll es mit einem eBike auch sein: Einfache Bedienung, eine gute Haptik, Attraktivität, stylisches Design. So stelle ich mir ein gutes eBike vor.“

Claus Fleischer (2016): „eBiken sollte unser Leben vereinfachen und es bereichern. Deshalb muss es intuitiv funktionieren. Einschalten, aufsteigen, in die Pedale treten, losfahren. eBiken ist Fahrradfahren mit dosierbarer elektrischer Unterstützung, die effektiv ist und begeistert. Wer es einmal probiert hat, den lässt es nicht mehr los. Bosch bietet Menschen „Technik fürs Leben“ – das trifft aufs eBiken voll und ganz zu.“

Was macht eBiken so faszinierend?

Rainer Jeske (2011): „Für mich war das erste Mal auf einem elektrischen Fahrrad auch ein Erlebnis. Denn lange war das Wort eBike für mich nur eine Worthülse. Erst wenn man selbst fährt, kommt man auf den Geschmack. Und wer erst einmal auf den Geschmack gekommen ist, entdeckt plötzlich unglaubliche Möglichkeiten. Man fährt auf einmal Touren, die vorher undenkbar gewesen wären. Mittlerweile fährt sogar meine Frau mit mir und meinem Sohn Rad. Das war vorher nicht so. So ist ein ganz anderes Familienleben möglich. Da kommen neben dem Radfahren an sich ganz neue, andere Elemente zum Tragen. eBiken ist schon jetzt eine Riesenbewegung. Es gibt den Menschen die Möglichkeit, wieder gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen, egal wie alt oder wie fit sie sind.“

Claus Fleischer (2016): „Das eBike ist für viele Menschen mehr als ein reines Fortbewegungsmittel – es hat sich zu einem echten Lifestyle-Produkt entwickelt. Die meisten Fahrradtypen sind inzwischen elektrifiziert. Von bequemen Tiefeinsteigern und Alltagsrädern, bis hin zu sportiven E-Mountainbikes oder praktischen E-Cargorädern. Für jeden Einsatzzweck gibt es das passende eBike. Als leidenschaftlicher Mountainbiker bin ich besonders von den Möglichkeiten angetan, die der elektrische Rückenwind mit sich bringt: E-MTBs erweitern die Limits, ermöglichen längere Trainingssequenzen, größere Touren und mit dem Uphill Flow lässt sich ein einzigartiges Fahrgefühl bergauf erleben.“

Gibt es Möglichkeiten, mit denen man eBiken noch interessanter machen kann?

Rainer Jeske (2011): „Vielleicht kommt ja irgendwann wie beim Auto eine Cruise Control, eine Möglichkeit, den Abstand zum Fahrer vor einem gleichzuhalten. Es gibt ganz spannende, tolle Dinge, die man aus dem Automobilbereich übertragen kann. Der erste Schritt war, die Energie ans Fahrrad zu bringen. Jetzt gibt es quasi keine Grenzen mehr. Ein Fahrrad mit Antiblockiersystem – warum nicht? Mal sehen, was die Zukunft bringt. Ideen haben wir auf jeden Fall genug.“

Claus Fleischer (2016): „Ein Blick auf die Straßen und in die Fahrradgeschäfte zeigt: eBiken liegt im Trend und ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Um diese nachhaltige Form der Mobilitätumfassend und „flächendeckend“ zu etablieren, benötigen wir gewisse Rahmenbedingungen: eine fahrradfreundliche Infrastruktur, Ladestationen, sichere Abstellmöglichkeiten. Das sind Themen, die die Politik angehen muss. Städte wie Kopenhagen oder Amsterdam machen es vor, viele andere ziehen nach. Wir engagieren uns auf vielfältige Art und Weise und unterstützen Verbände wie den ECF, den ADFC oder die „ARGE Fahrrad“ in Österreich. Wo die Infrastruktur passt, lassen auch eBiker nicht lange auf sich warten. Das gilt im Übrigen nicht nur für die Stadt, sondern auch für den Wald: Radfahrer und Natursportler benötigen ein freies Betretungsrecht. Die „Zwei-Meter-Regel“ in Baden-Württemberg etwa ist ein Relikt vergangener Tage. In der Praxis hat sich diese Regelung nicht bewährt; sie ist wenig wirksam, kaum bekannt und lässt sich nicht kontrollieren. Vielmehr trägt sie dazu bei, Ängste und Vorbehalte zu schüren. Stattdessen sollten wir auf Toleranz, Vertrauen und guten Willen setzen. Um eBiken auch im sportiven Einsatzbereich noch interessanter zu gestalten, engagiert sich Bosch eBike Systems bei etablierten Radsportevents. Bei „Rad am Ring“ etwa gibt es zusätzliche Wettbewerbe wie das 24-Stunden-Rennen oder das erste Enduro-Rennen exklusiv für eBiker.“

Wie kann man den Leuten die Angst nehmen mit dem eBike plötzlich ohne Energie dazustehen? Stichwort Reichweite …

Rainer Jeske (2011): „Das ist ja immer die erste Frage: Wie weit komme ich mit einem eBike? Wie lange reicht der Akku? Ich kann es nachvollziehen, dass das die Menschen besorgt. Aber sie müssen sich mal die durchschnittlichen Fahrprofile der Deutschen anschauen. Viele fahren nur zehn bis zwölf Kilometer in die Stadt rein. Sie brauchen gar keine Riesenreichweiten. Ich gehe ja auch nicht in ein Autogeschäft und sage: „Guten Tag, ich hätte gerne ein Auto mit einem möglichst großen Tank“. Verbrauch ist ein wichtiges Kriterium. Daher müsste man mehr zu einer Verbrauchsangabe beim Rad kommen. Das ist allerdings schwierig, weil die Lastenverhältnisse im Vergleich zum Auto ganz andere sind. Unter dem Strich ist nicht der Energieinhalt des Akkus wichtig, sondern ein effizienter Umgang mit der Energie. Dieser Trend zu immer größeren und fetteren Akkus muss enden. Ich wünsche mir eine Aufschrift auf dem Akku wie „Akku-Energie – genügend!“

Claus Fleischer (2016): „Studien belegen, dass Menschen mit dem eBike häufiger und länger fahren als mit dem traditionellen Fahrrad. In der Regel ist die Akkukapazität ausreichend. Die Leistung von eBike-Akkus hat sich in den letzten Jahren enorm verbessert, die Reichweite ist inzwischen sehr gut. Nach den PowerPacks 300 und 400 haben wir für das Modelljahr 2016 den PowerPack 500 vorgestellt, der in seiner Gewichtsklasse zu den leichtesten Akkus am Markt gehört und zudem über die höchste Energiedichte verfügt. 2017 folgt DualBattery, die Kombination zweier PowerPacks für Touren- und Lastenräder. Mit bis zu 1.000 Watt­stunden sind besonders hohe Reichweiten, große Distanzen und intensive Nutzung möglich. Wer mit Nyon unterwegs ist, bekommt mit der topographischen Restreichweite ein intelligentes Feature mit auf den Weg, das Faktoren wie Streckentopografie, Akkuladung sowie das gewählte Unterstützungslevel in die Berechnung der Route miteinbezieht. So lassen sich Touren noch präziser planen und der eBiker hat immer im Blick, wie weit er mit seiner Akkuladung kommt. Außerdem gibt es von Bosch cleveres Zubehör wie den Travel Charger oder den Compact Charger, die sogar in Satteltasche oder Daypack passen und sich perfekt für lange Touren eignen. Wer ganz genau wissen will, welche Faktoren sonst Einfluss auf die Reichweite nehmen, sollte einen Blick auf unseren Reichweiten-Assistenten werfen.“

Was war bislang Ihr schönstes Erlebnis mit einem eBike?

Rainer Jeske (2011): „Bis zu meinem Haus muss ich rund 400 Höhenmeter überwinden. Da gucke ich immer hoch und denke: Packst du das noch? Mit der Unterstützung des eBike-Antriebs schaffe ich es, aber ich muss mich dabei immer noch selbst bewegen. Das sind so Erlebnisse, bei denen ich mich wieder richtig jung fühle. Ich fahre zum Beispiel jetzt auch wieder mit dem Rad von zu Hause an den Bodensee runter. Das würde ich ohne Elektroantrieb nicht mehr machen. In den 70er-Jahren wurde ich auf Sardinien und Korsika als einer der ersten Mountainbike-Fahrer bestaunt und fotografiert. Jetzt kommen wieder so Gefühle auf. Ich fühle mich wieder jung. Das tut schon gut.“

Claus Fleischer (2016): „Als leidenschaftlicher Mountainbiker ist mein Favorit ganz klar der Uphill Flow, der beim eBiken entsteht, wenn man Trails hochfährt. An Pfingsten sind wir am Gardasee anspruchsvolle Traumtouren mit hohem Trail-Anteil uphill und downhill gefahren. Dabei waren wir auf E-MTBs mit „State-of-the-Art-Ausstattung“ unterwegs: Das Bosch Antriebssystem Performance Line CX kombiniert mit der neuen SRAM EX1 Schaltung, breiten Schwalbe 27,5”+ Reifen mit Procore und Magura MT7 Bremsen. Das war Trail Vergnügen vom Feinsten. Dabei kam uns die Idee zu einer neuen „E-MTB-Formel“: Mit einem traditionellen MTB fährt man bei einer Tour etwa viermal so lang bergauf wie bergab – auf langen, mühsamen Anstiegen entsteht kaum Fahrspaß. Mit dem E-MTB verändert sich das Verhältnis auf 2 zu 1, wobei die 2 Zeiteinheiten bergauf auch Spaß machen – und genau das ist der Uphill Flow.“

Das Interview mit Claus Fleischer wurde per E-Mail geführt.